Bei meiner Abfahrt aus Kasan erhasche ich einen Blick auf die nördlichen Stadtteile. Au weia, was wird da gebaut. Hier ist das 21. Jahrhundert am wüten. Naja, ein Tourist wird sich dahin so schnell nicht verirren.
Auf meiner Fahrt nach Westen treffe ich Jewgenij, mit dem ich eine Etappe gemeinsam fahre. Jewgenij hat offenbar keinen Respekt vor Geschwindigkeitskontrollen, denn er gibt mit seiner nagelneuen, teuren Yamaha FJR mächtig Gas. Er spricht ein paar Brocken Deutsch, etwa soviel wie ich Russisch. Beim Mittagessen erzählt er mir alles über sich. Er ist auf dem Weg von Ekaterinburg nach Sankt Petersburg, das sind fast 2500 km, das macht er in 2 Tagen. Er besitzt einen Baustoffgroßhandel und eine Sicherheitsfirma. Er ist Karate-Champion im Oblast Swerdlowsk. Er hat drei Häuser, in Ekaterinburg, in Petersburg und in Thailand. Frau und Sohn leben in Kanada, aber er hat in Petersburg noch eine Frau. Er arbeitet nur im Winter, jetzt im Sommer nimmt er frei. Seine besten Freunde sind die Polizeipräsidenten von Ekaterinburg und Moskau, drum ist er bei Polizeikontrollen unantastbar - ein Anruf genügt. Wenn ich je Schwierigkeiten mit der Polizei haben sollte, soll ich ihn anrufen, er regelt das, sagt er...
Mein Haus, mein Auto, mein Pferd. Ist er tatsächlich ein Oligarch? Oder ein Mafiaboss? Vielleicht ist er auch nur ein Angeber. Aber seine FJR ist echt, und seine Fotos von sich mit einer dicken Nobelkarosse mit schwarzen Fenstern sehen zumindest echt aus.
400 Kilometer westlich von Kasan liegt Nischni Nowgorod. Die Stadt, die bis 1991 Gorki hieß, war bis zu diesem Zeitpunkt eine "geschlossene Stadt" - ein Ort, den Ausländer nicht besuchen, aus dem sogar Einheimische nicht ohne Erlaubnis ausreisen durften. Der Grund war die hier ansässige Rüstungsindustrie. Ein sehr geeigneter Platz für eine Verbannung. Von 1980 bis 1986 musste der Atomphysiker Andrei Sacharow hier einsitzen.
Nischni Nowgorod ist hübsch am Steilufer oberhalb der Mündung des Oka in die Wolga gelegen. Hier gibt es eine Reihe von pittoresk am Flussufer platzierten Klöstern und Kirchen zu besichtigen.
Außerdem, wie in fast jeder russischen Metropole mit Geschichte, eine Zitadelle (Kreml), Anfang des 16. Jahrhunderts erbaut. Dicke Backsteinmauern mit wuchtigen, quadratischen Türmen, mit eindrucksvoller Aussicht auf Oka und Wolga, und einer massig breiten Freitreppe hinunter ans Flussufer.
Leider habe ich mir bei meinen Gewaltmärschen durch Kasan Blasen an den Füßen geholt. Bis das heilt, kann ich nicht so richtig laufen. Ich versuche also, die Stadt mit dem Mopped zu erforschen. Dabei stelle ich fest, dass es hier von einheimischen Chopperfahrern wimmelt. Ich komme mit zwei Easy Riders ins Gespräch und erfahre, dass gestern hier das "Smoke On the Water" Festival war. Das hab ich leider verpasst. Aber ich kriege zum Trost den Festivalbutton geschenkt.
Auf meiner Route Richtung Moskau liegt Susdal, ein kleines, hübsches Städtchen mit Holzhäusern, Gemüsegärten, massenhaft altem Klostergemäuer, und ganzen 36 Kirchen. Außerdem Souvenirhändler, Hotels, und natürlich die dazugehörigen Touristen. Was im 16. bis 18. Jahrhundert ein bedeutender Wallfahrtsort war, ist heute ein Museumsreservat und weitgehend vom Industriezeitalter verschont geblieben.
Hochromantisch an einem Mäander des Flusses Kamenka gelegen, mutet das dörfliche Idyll an wie aus dem Kino. Was in Deutschland Rothenburg ob der Tauber ist, das ist in Russland Susdal. Jeder Tourist, der ins 200 km entfernte Moskau reist, kommt auch hier vorbei, denn dies hier ist der prominenteste und besterhaltene Teil des "Goldenen Ringes", einer Reihe sehenswerter altrussischer Städte nordöstlich von Moskau.
Ich klappere eine Reihe von Hotels ab, aber die haben alle Mondpreise. Nee, ich bin zwar Tourist, aber kein Japanischer. Ich lande in einer Fahrradtouristenunterkunft. Ich krieg das Zimmer 2, das hat 14 Betten. Aber ich bin allein im Zimmer. Und der Preis ist OK.
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