Albanien - Teil 2
Reisebericht: Gregors Motorradreise um die Ägäis
26.Mai - 20. Juni 2003
31.5.2003 - von Gjirokastra nach Korca
Die Nacht über war ich nicht gut drauf, mir ging aller möglicher Unbill durch den Kopf: Unfall, Unwetter, Motorschaden, wilde Kerle die sich an meiner Maschine vergreifen, und so weiter. Ich war fest entschlossen, zurück nach Griechenland zu fahren und den Rest des Albanien-Trips sein zu lassen.
Mit der Sonne am Morgen kommt der Mut zurück. Erst mal einen Kaffee, dann noch einen mit Yilli, der mir stolz seinen alten Mercedes zeigt und der sich so sehr zurück nach Frankfurt sehnt. Dann führt er mich zum Bäcker im neuen Teil der Stadt zu einem exzellenten Burek-Frühstück.
So gestärkt, geht es kurz nach 9 los. Die Straße ist eigentlich gar nicht schlecht. Wellig zwar, auch Schlaglöcher, aber nichts was man nicht mit 30 km/h um- oder überfahren könnte. Einen Polizist, der seine Haltekelle zeigt, sehe ich erst im letzten Moment und fahre einfach weiter. Gottseidank schießt er mir nicht hinterher.
Ab Tepelene Richtung Südosten, das grüne Tal des Vijose hinauf, wird es wildromantisch, umrahmt von Bergen mit Schneeresten. Esel, Kühe, Schafe, und sehr wenig Verkehr. Auch hier, wie entlang der ganzen Strecke, findet man immer noch diese merkwürdigen Beton-Iglus. Es sind Verteidigungsbunker. Von denen wurden vor 1985, zu Zeiten des verrückten Diktators Hoxha, der sein Land von allen Seiten bedroht glaubte, etwa 700.000 Stück gebaut. Jeweils ein braver Soldat sollte mit seiner Kalaschnikow da drin sitzen und auf den Angriff der amerikanischen Kapitalisten oder russischen Revisionisten warten.
Noch mal Polizeikontrolle. Ich bin freundlich, shake Hands und mache ein Foto. Man hatte mir vor der Reise erzählt, dass man, um Komplikationen zu vermeiden, bei einer Kontrolle dem Beamten immer 100 Lek (70 Cent) in die Hand drücken sollte. Aber die Sheriffs hier sind zugänglich, keine Spur von Schmiergeld-Pflicht.
Es wird, je näher ich dem südlichsten Punkt des Tales komme, immer wilder und kurviger. In Carshove genehmige ich mir bei der Mama vom "Athens Market" einen Kaffee und frisches Wasser. Ich unterhalte mich auf Griechisch mit dem halben Dutzend Anwesender - hier ist alles und jeder total griechisch. Ich erfahre, dass es hier in der Nähe, zwischen Perat und Melissopetra, seit März 2003 einen nagelneuen Grenzübergang gibt. Damit hat sich die Zahl der Grenzübergänge zwischen Griechenland und Albanien um 50% erhöht - von 2 auf 3.
Weiter geht es, immer höher, kurvig und eng, bis es bei Erseka zu regnen beginnt - was sag ich Regen, Wolkenbruch! Da der Ort aber, wie es im Regen scheint, nur aus Kuhställen, Misthaufen, und freudlosen Häusern besteht, hab ich keine Lust zu halten oder gar zu übernachten und fahre einfach weiter - im Schritt-Tempo. Der Regen lässt dann auch nach, und um 15 Uhr erreiche ich Korca.
Korca
Vor mir fährt eine blitzblank geputzte Ural (oder Dnjepr oder Chang Jiang, so genau kenn ich mich da nicht aus) mit Beiwagen. Ich überhole und halte, um mit ihm zu plaudern und etwas über die Maschine zu erfahren. Als ich ihm sage, ich sei aus Deutschland, erklärt er mir, sein Motorrad sei auch aus Deutschland, das wisse er ganz genau. Ich bin platt. Ja ist dieses nagelneu aussehende Vehikel vielleicht gar eine 60 Jahre alte BMW? Ich kann nirgendwo an der Maschine ein Markenemblem entdecken, und einer detaillierteren Diskussion steht das Sprachproblem im Wege. Ich frage ihn nach einem Hotel. Er fährt voraus, und führt mich wieder mal zu dem teuersten Schuppen, das "Regency".
Die Stadt ist angenehm und hat durchaus hübsche Stellen. Einen netten Stadtpark, eine eindrucksvoll große Basilika, ein paar belebte und recht moderne Boulevards, und einen pittoresken Wochenmarkt. Daneben allerdings eine Altstadt, deren Kopfsteinpflaster in der Erde versinkt, etwas grau und freudlos.
1.6.2003 - Pogradec
Das heutige Ziel ist der Ohrid-See. Es ist empfindlich kalt bei der Abfahrt, ich brauche meinen Goretex-Windstopper. In den Bergen um die Mittagszeit stehen am Straßenrand Dutzende von Kindern, die frische Kirschen, mühe- und kunstvoll gebunden zu Trauben, den Vorbeifahrenden zum Kauf anbieten.
Um die Mittagszeit erreiche ich Pogradec am Ohrid-See. Die Stadt ist bislang das cleanste, was ich in Albanien gesehen habe. Sauber gepflegter Strand, grüne Promenade, beautiful people. Dafür liegt haufenweise Müll östlich der Stadt, nahe der mazedonischen Grenze, am Strand. Das Seeufer als Müllkippe! Ich halt's nicht aus.
Mein Fazit zu Albanien
Wunderbare, zum Teil unberührte, wilde, Landschaften. Teils pittoreske, teils ärmlich graue Dörfer. Einige durchaus sehenswerte Städte. Die Schulbildung der Leute ist offensichtlich OK, viele junge Leute können etwas Englisch. Der Süden ist bettelarm, es ist fast peinlich. Spuren des alten Regimes sind noch sichtbar - überall an den Straßenrändern gibt es Bunker. Das Hauptproblem Albaniens war seine totale Einigelung zu den Zeiten der Diktatur, die sich in paranoider Weise auf die Verteidigung konzentrierte und die Infrastruktur verkümmern lies. Nick, der Chef vom Hotel Regency formuliert einen Vergleich der ehemaligen Albanischen und Jugoslawischen Diktaturen so: "Tito was smarter, he built roads, not bunkers". Trotzdem gibt es überall Einsprengsel von Wohlstand, jede Menge Bautätigkeit, und in den Städten nicht zuwenig Autos. Das Land, wie könnte es anders sein, erholt sich. Die Hauptstraßen sind durchweg befahrbar, mit ganz wenigen Ausnahmen asphaltiert, jedoch immer wellig - nie topfeben, selbst dort wo der Belag nagelneu ist. Das Durchschnittstempo bei meiner Überlandfahrt lag unter 40 km/h. Sprit gibt's überall, Hotels in allen Städten, für Anspruchslose billig (unter 20 EUR). Die Leute sind freundlich und friedlich, die Polizei zwar allgegenwärtig aber harmlos. Die touristische Infrastruktur ist noch unterentwickelt, aber das Land ist für robuste Individualtouristen durchaus besuchbar.