Albanien - Teil 1

Reisebericht: Gregors Motorradreise um die Ägäis

26.Mai - 20. Juni 2003

30.5.2003 - von Korfu nach Gjirokastra

Wenn ich das heute, 5 Jahre später (Anfang 2008), so lese, kommt es mir reichlich bizarr vor. Ich muss zugeben, ich hatte damals noch ein gerütteltes Maß an Vorurteilen. Wie dem auch sei, der Balkan ist inzwischen größtenteils in der EU, und die Länder, die noch nicht drin sind (z.B. Albanien), werden wohl nicht mehr lange brauchen. Die Zeiten, wo Mitteleuropa die "Schluchten des Balkan" als wildes, exotisches Terrain betrachtete, nähern sich wohl dem Ende.

30. - 31.5.2003 - Albanien

Ich hatte mir das mit dem Abstecher nach Albanien lange überlegt und genau geplant. Ich hatte im Usenet um Rat gefragt - kann man hier nachlesen. Ich wollte es vorsichtig angehen, erst mal vielleicht nur einen Tagestrip machen. Wasser und Essen mitnehmen, morgens rein mit vollem Tank, mittags umkehren, und vor Sonnenuntergang wieder raus nach Griechenland. So war es geplant. Aber es kam ganz anders.

Frühmorgens am Hafen von Korfu, 20 Minuten vor der geplanten Abfahrt, ist die Fähre nach Saranda/Albanien noch leer. Außer mir wartet da nur noch ein PKW. Es gibt Komplikationen. Wir wissen nicht ob wir ausländische (nicht Albanische) Fahrzeuge mitnehmen dürfen, das muss die griechische Hafenbehörde erst genehmigen, sagt er. Was es kostet? Hmm, 58EUR? Ich handele den Mann auf 25EUR runter, aber das ist mir immer noch zuviel. Aufs griechische Festland, bei gleicher Entfernung, komme ich für 12,50 EUR!

Der PKW mit Albanischem Kennzeichen gehört einem deutschen Ehepaar, er arbeitet in Tirana. Mit dem Straßenzustand auf der geplanten Strecke sei das halb so schlimm, sagt er. Schlaglöcher, auch mal ein offener Gully, also vorsichtig fahren. Ansonsten sei Albanien besser als sein Ruf. Mal sehen.

Ich nehme die Fähre nach Igoumenitsa um auf dem Landweg nach Albanien zu kommen. Die E90/E92 ist eine reine Freude. Bergig hoch, kurvenreich, schwach befahren, großzügig ausgebaut und in bestem Zustand. Nach etwa 70 km biege ich nach Norden ab über die Dörfer (Zitsa). Die Straßen sind weiterhin super (mal abgesehen von den zahlreichen Kuhfladen), obwohl hier niemand fährt. Griechenland hat reichlich EU Milliarden in den Straßenbau gesteckt, das sieht man überall. Die Hauptstraße zur Albanischen Grenze bei Kakkabia ist wie eine Autobahn - aber immer noch kein Verkehr. In der Hauptsaison soll das aber anders sein, habe ich mir sagen lassen. 30.5.2003 - Gjirokastra

Der griechische Grenzer behandelt mich barsch und von oben herab, scheinbar hat in seinen Augen jeder Tourist, der da rüber fährt, ne Schraube locker. Vielleicht hält er mich auch für einen von denen da drüben.

Der Grenzübergang auf der albanischen Seite präsentiert sich mit Beton, Eisen, Zäunen, Baracken - die DDR Staatsgrenze lässt grüßen. Die Einreiseformalitäten sind umständlich, aber trotzdem einigermaßen fix - es ist ja nix los. Der erste Sheriff verlangt 2 EUR ohne Quittung, wahrscheinlich Pflicht-Bakschisch. Dann kommt eine 4 mal 4 Meter große, flache Wanne in der Fahrbahn, mit 50 cm tiefer, undefinierbarer, schwarzer Flüssigkeit drin. Wahrscheinlich zur Desinfektion der Räder. Alle Autos müssen da durch, ich zum Glück nicht. Dann den Pass und die Fahrzeugpapiere vorzeigen. Zahlen gehen im Zahlbüro: 10EUR. Zurück zur Passkontrolle. Stempel. Dann durch die Zollabfertigung, noch mal Stempel. Fertig.

Die ersten 25 km sind zu gut um wahr zu sein, eine erstklassige, breite, gerade Straße, Tempo 100-120. Die Landschaft unterscheidet sich radikal von Griechenland. Ein breites, flaches Tal mit Weiden, Getreide- und Gemüsewirtschaft. Die Berge sind absolut kahl, da scheint nicht mal ne Ziege ihr auskommen zu finden. Das ist es, was das CIA World Factbook "Deforestation" nennt. 30.5.2003 - Gjirokastra 30.5.2003 - Gjirokastra

Vorbei an Dörfern mit grauen Dächern. Ziemlich viel Bautätigkeit.

Kurz vor Gjirokastra wird's ernst. Eine Ortsdurchfahrt, 2 km lang, wie ein Steinbruch. Knietiefe Löcher, Dreck, Morast, Schotter. Wenn ich so was mit meiner guten alten VX 800 über längere Strecken fahren muss, kann ich die Mühle wegschmeißen.

Dann hält mich auch noch ein Polizist an. Seinen fragenden Blick und sein Gemurmel interpretiere ich so: "Was zum Teufel machst du hier?" Ich grinse, ziehe mit dem Zeigefinger das untere Augenlid runter und sage "Sightseeing. Tourist". Er winkt mich mit unübertrefflicher Coolness weiter.

Gjirokastra

Am steilen Hang gelegen, mit steilem, steinaltem, absolut unbefahrbarem Kopfsteinpflaster, aber voller Autos, präsentiert sich mir Gjirokastra. Zur Mittagszeit balanciere ich mein schweres Ross zwischen den Leuten und den zahllosen 20 Jahre alten Daimler-Diesel durch, dass mir Angst und bange wird. Auf dem großen Platz am Eingang der Altstadt spricht mich ein Taxifahrer in bestem Englisch an. Drago Kalemi hat ein Hotel, das beste am Platz. Das Zimmer ist in der Tat exzellent, wenngleich mit 25EUR (nach einigem Feilschen) etwas überteuert. Das Stadthotel hätte nur 15 EUR gekostet, finde ich später heraus. Egal, is gut so.

Ich besuche das verfallene Kastell. In den Katakomben gibt's eine Sammlung von Kanonen aus dem Weltkrieg, und einen Panzer aus der Steinzeit, die von jungen Soldaten geölt und geputzt werden. Bizarr.

30.5.2003 - Gjirokastra, Kastell 30.5.2003 - Gjirokastra

Beim Abstieg vom Kastell werde ich von einer Gruppe Jungs, so um die 16 Jahre, angesprochen, die an mir ihre paar Brocken Englisch ausprobieren. Ich ende so um 17 Uhr im Cafe am Rathaus und genehmige mir 2 Bier für 70 Cent das Stück.

Die Stadt ist geprägt von wildem Betonwuchs im neuen Teil, und wüstem Verfall in der Altstadt am Hang. Die Dächer sind mit dicken, flachen Brocken aus Naturkalk gedeckt, was ohne Pflege schlimm verrottet und wegen des hohen Gewichtes einstürzt. Fast die Hälfte der Häuser der Altstadt sind davon betroffen, unten weniger, im oberen Teil mehr - dort gibt es aber auch mehr Neubauten bzw. Renovierungen, zum Beispiel Drago's Hotel.

Trotzdem, diese Altstadt hat was. Die archaischen Steindächer gibt es nur hier. Es ist die einzige heute noch erhaltene Altstadt Albaniens, sagt man. Der verrückte Diktator Enver Hoxha, der dieses Land von 1944 bis 1985 kaputtregierte, befahl einst, dass die alten Zentren aller Städte erneuert werden müssten - mit anderen Worten, abzureißen seien. Nur die Altstadt seines Geburtsortes Gjirokastra blieb verschont.

Der adrette Sheriff mit der Kalaschnikow vor der Polizeiwache erzählt mir von seiner Hochachtung für deutsche Dichter und Denker. Er zählt auf, was er schon alles gelesen hat: Schiller, Goethe, Storm, Fontane, Tick, von Armin, Heine, Herder, Novalis, Chamisso, Kleist, Brecht, Seild, Nossack, Lenau, Lessing, Wieland, Eichendorff, Remarque... 30.5.2003 - Gjirokastra Ich sitze 20 Minuten neben ihm auf der Bank, bis er mir freundlich-verlegen klar macht, ich solle jetzt gehen - er darf mich da eigentlich nicht sitzen lassen.

Dann kommt der einarmige Rudo dazu und besteht darauf, dass ich in die Moschee mit komme. Schuhe aus, und hinten an der Wand stehen bleiben, sagt er, und gesellt sich zu den jungen Leuten vorne 15 Minuten lang zum Abendgebet. Irgendwie sympathisch, wenn man bedenkt dass das völlige Religionsverbot in Albanien erst 1990 aufgehoben wurde.

30.5.2003 - Gjirokastra Danach zeigt Rudo mir noch die Koranschule und stellt mich seinem alten Onkel in der Kneipe am Berg vor. Und der Onkel erklärt mir die Außenpolitik aus seiner Sicht: Russen, Griechen und Serben sind schlechte Menschen.

Als ich zurück ins Hotel komme, regnet es ziemlich stark. Die Leute vom Hotel haben inzwischen meine Maschine umgestellt und dabei die hinteren Blinker total verdreht, es sieht so aus als hätte jemand die Blinker als Griff zum Schieben benutzt. Zum Glück ist nichts kaputt. Das üble Wetter, und dass die sich einfach so an meinem Motorrad vergriffen haben, schlägt mir etwas aufs Gemüt.

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