Wenn ich der Wetter-App auf meinem Smartphone Glauben schenken darf, dann wird es heute auf meiner geplanten Route über den Großglockner arg ungemütlich. Temperaturen fast am Gefrierpunkt,Raureif, Nebel, Regen.
OK,dann nehm ich halt wieder mal den Brenner. Brenner geht immer.
Ich schaffe es einige Male, dem Regen zu entgehen, von ein paar Tropfen abgesehen. Immer wenn der Himmel vor mir schwarz wird, biege ich in ein anderes Tal ab und erlebe dadurch so ganz nebenbei eine zwar zeitraubende, aber wunderbare Fahrt durch die italienischen Dolomiten.
Und jetzt sitz ich bei einer Mozzarella-Pizza in Tolmezzo.
Ich erreiche die Küste etwas nördlich von Triest. Die Temperatur ist hochsommerlich, und die Fahrt entlang der Küste ein scharfer Kontrast zu der gestrigen Flucht vor dem Regen und der Kälte in den Dolomiten.
Auch durch Triest nehme ich die Küstenstraße. Das erlaubt ein paar schöne Blicke aufs Zentrum, aber es kostet seinen Preis - ich komme nicht gerade schnell voran.
In Slovenien mach ich Rast im Städtchen Izola, dann geht es nach Kroatien. Ich fahre durch Novigrad und Porec, immer auf der Landstraße. Der Tag klingt aus in Vrsar, ein kleines, pittoreskes Nest mit engen, alten Gassen auf dem Hügel, und einem großen, noblen Yachthafen unten am Wasser.
Ein kurzer Abstecher nach Rovinj reicht - diese Stadt ist nichts für mich. Das eigentliche Sahnestück, die Halbinsel mit der pittoresken Altstadt, ist für KFZ gesperrt. Eigentlich find ich das schon richtig, aber in der Ledermontur bei fast 30 Grad durch die Gegend marschieren während das Mopped ziemlich ungesichert irgendwo am Hafen steht - nein Danke.
Quer durch Istrien geht die Fahrt nach Osten, wo von dem Hafen Brestova etwa jede Stunde die Fähre zur Insel Cres geht. Dann auf Cres nach Süden bis zur Hafenstadt Mali Losinj. Ein preiswertes Quartier am Hafen ist schnell gefunden, und weil es erst 4 Uhr ist, hab ich heut Zeit, den ersten Waschtag einzulegen.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Sarajevo, die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Ein ungemein cooler Ort, mit Kirchen und Moscheen in trauter Nachbarschaft, einer Altstadt mit tausend Restaurants, Teehäusern, Eisdielen und Souvenirshops. Hier gilt leben und leben lassen, hier flanieren Miniröcke und Burkas nebeneinander. Niemand scheint den anderen seine Heilslehre aufzwingen zu wollen.
Die vorherrschende Sprache ist, ganz im Gegensatz zur kroatischen Küste, mal nicht Deutsch. Touristen gibts genug, aber sie sind halt im Straßenbild in der Minderzahl. Nur gelegentlich gibts einen mächtigen Pulk Japaner.
Hier gefällt es mir, ich werde zwei Tage verweilen.
Die Fahrt nach Osten, Richtung Montenegro, gestaltet sich abenteuerlich. Nach wenigen Kilometern erreiche ich die enge, kurvige, holprigen Landstraße vierter Ordnung, die ich mir mit Kennerblick auf meiner Generalkarte ausgesucht habe. Allerdings muss ich feststellen, es wimmelt auf dieser Strecke von Motorradtouristen. Bei einer Rast erfahre ich, das Navi ist der Grund. Wer von Sarajevo kommend "Griechenland" mit der Option "landschaftlich schöne Straße" ansteuert, und das sind nicht gerade wenige, wird vom Navi hier durch geführt.
Montenegro ist in der Tat landschaftlich sensationell. Typisch für die Berglandschaft hier sind abgrundtiefe Fluss-Canyons. Schon in Bosnien fahre ich entlang der Drina-Schlucht, die dann in Montenegro immer gewaltiger und tiefer wird.
Zur Abwechslung gibt es dann im Durmitor Nationalpark noch ein paar Pässe um die 2000 Meter, wo ich auf der halsbrecherisch engen Straße an Abgründen und Schneefeldern entlang balanciere.
Am Abend erreiche ich Kolasin, ein kleiner, verschlafener Wintersportflecken, in dem zur Zeit aber auch gar nichts los ist. Dafür kostet das Zimmer nur 15 Euro.
Der Pass, den ich mir auf der Fahrt in den Kosovo ausgesucht habe, ist gesperrt. Also muss ich etwa 80 km Umweg machen, um zum nächsten Grenzübergang zu kommen. Auf der Fahrt dorthin erwischt mich das Regenwetter. Oben am Pass, bei der Grenzstation, liegt frischer Schnee neben der Straße und Schneematsch auf der Fahrbahn.
Da oben ist es ungemütliche 8 Grad kalt, aber sobald ich die Serpentinen hinab fahre, steigt die Temperatur wieder - auf etwa 30 Grad!
Pec ist erst mal ein Schock. Die Stadt besteht aus gefühlten 50% unverputzten Backstein-Rohbauten. Verwunderlich ist das allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass die Stadt am Ende des Kosovo-Krieges vor 15 Jahren kurz und klein gebombt und geschossen war.
Dann kommt der nächste Regenguss mit Graupeln, ich erreiche gerade noch das nächste Straßencafe, aber die 30 Sekunden im Regen haben mich bereits pitschnass gemacht. Aber auch diese Dusche ist bei einem Kaffe bald vorbei, und ich finde ein billiges Hotelzimmer.
Gegen Abend finde ich dann doch noch das Basarviertel, und das hat genug orientalisches Flair, dass es mich mit der Stadt und dem Regen versöhnt.
In den Spielzeugläden gibt es Kalaschnikows aus Plastik für die lieben kleinen.
Auf dem Hügel eine mittelalterliche Festung, durchs Zentrum ein Fluss mit pittoresker Steinbrücke, eine große Moschee neben einer Kathedrale, jede Menge alte Bausubstanz, Plätze und Gassen ohne Autos, und eine dementsprechende Zahl überwiegend einheimischer Touristen.
Hier wohnt eine Handvoll verschiedener Ethnien anscheinend in Frieden nebeneinander. Ein multikulti-Juwel ähnlich wie Sarajevo. Das war nicht immer so, vor 10 Jahren noch haben Gruppen wildgewordener "Freiheitskämpfer" die Kirchen im Ort demoliert und angezündet. Für die muslimischen Kosovaren war das Christentum wohl synonym für das verhaßte Herrschervolk der Serben.
Heute ist diese Stadt jedenfalls einen Besuch wert. Sie wurde offensichtlich während des Kosovokrieges nicht annähernd so zerstört wie Pec. Die Altstadt hat trotz zahlreicher stilistisch angepasster Neubauten ihr pittoreskes Flair bewahrt.
Uff, war das eine anstrengende Fahrt. Ich bin in Albanien über Korca durch die Gebirgskette entlang der Grenze zu Griechenland nach Süden gefahren. 120 Kilometer in 4 Stunden. Bergauf, bergab, Serpentinen, Schlaglöcher, Rüttelpiste, Schotter-Etappen.
Jetzt tut mir das Kreuz weh, aber ich hab glücklich Griechenland erreicht. Aber ich will nicht meckern, ich bin diese Strecke heute zum dritten Mal gefahren, denn sie ist landschaftlich sensationell. Verkehr nahe Null, und die Navis der Moppedtouristen wissen von dieser Etappe offensichtlich auch noch nichts.
Nun hab ich mein Quartier in dem Bergdorf Konitsa genommen. Im Dorfcafe hab ich gesehen, wie die Griechen etwas unter Wert gegen Kolumbien verloren haben. Ich fand, sie haben sich tapfer geschlagen.
Heute morgen bei der Abfahrt konnte ich mich nicht entscheiden, fahr ich nach Osten oder Westen? Dann hab ich 'ne Münze geworfen - Osten.
Und mitten im Pindos Gebirge fing dann der Regen an. Inzwischen gießt es dermaßen, das ich in einem Café in einem Provinznest festsitze und erstmal nicht weiter mag.
Ach wär ich doch nur nach Westen gefahren, dort an der Küste säße ich jetzt bei Sonnenschein im Strandcafe.
Nach zwei Stunden warten hat der Regen immer noch nicht aufgehört. Also fahr ich wohl oder übel durch den Piss in die nächste Stadt.
Vorbei am Berg Olymp, da wo auf knapp 3000 Höhenmetern die griechischen Götter wohnen, führt die Fahrt nach Osten. Ich komme ans Meer bei Leptokaria. Von dort nach Süden erstreckt sich eine aberwitzige Ferienlandschaft. Flache Strände, hunderttausende von Ferienwohnungen und -Zimmern und genausoviele Tavernen, aber keine richtigen Dörfer. Hier ist zur Zeit noch alles gespenstisch leer.
Weiter südlich wird die Küste dann steil. So steil, dass man, um an die kleinen Badebuchten zu kommen, erst mal -zig Kilometer Serpentinensträßchen überwinden muss. Meine Endstation heute ist Keramidi, eine kleine Bucht mit einer einsamen Taverne am Ende der Welt.
Vielleicht 10 Kilometer Luftlinie weiter südlich ist ein ähnliches Dorf meine nächste Station. Um diesen Ort zu erreichen, musste ich allerdings wieder über 100 km Passfahrt absolvieren. Nicht dass ich mich beschweren will, für solche Fahrten bin ich ja unterwegs hier.
Die Ruhe hier ist allerdings verführerisch. Das Wasser ist kristallklar, das Zimmer komfortabel, das Essen lecker und das Bier kühl. Hier werde ich zwei Tage verweilen.
Schließlich erreiche ich den äußersten Süden des Pilion. Hier lebt Griechenland gute zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit, und ich meine das positiv. Es gibt hier noch richtige Fischer, und das Verhältnis der Einwohner zu den Touristen liegt vielleicht bei 10:1.
Der Grund dafür ist der, dass diese Gegend nur mühsam erreichbar ist. Es gibt keine Fähren hierher, die Großstädte Athen und Saloniki sind um die 5 Autostunden entfernt, selbst von der großen Hafenstadt Volos, die vielleich nur 60 km Luftlinie entfernt ist, braucht man hierher mindestens 2 Stunden.
Wer Zeit hat, und auf Ramba Zamba gerne verzichtet, sollte hier mal Urlaub machen.
Beim Frühstück in einem Dorcafe wollte der Wirt heute morgen kein Geld von mir. Er sagte, ich solle stattdessen bei der Frau Merkel ein gutes Wort einlegen für die Griechen.
Heute hab ich mir in Volos mein Ticket für die Fähre nach Italien gekauft. Die Fähren sind ganz schön ausgebucht, nach meiner Erfahrung ist das ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Mein Erklärungsversuch ist, die Fährverbindungen wurden reduziert, damit sie profitabler arbeiten.
Ich setze um die Mittagszeit über zur Insel Euböa (Evia). Ich such mir eine Bleibe in einem gottverlassenen, winzigen Dörfchen an der Westküste der Insel. Leider bricht am Abend ein Gewitter los, und meine frisch gewaschene Wäsche wird, während ich in einer Taverne sitze, vor meinem Quartier pitschnass. Mal sehen, ob die bis morgen trocknet, mit dem nassen Zeug mag ich jedenfalls nicht fahren.
Die Strecke auf Euböa nach Süden ist eine ganz besondere. Lange Passagen führen durch schattige Wälder, dazu kommt ein Anstieg von Null auf etwa 700 Meter. Grandiose Aussichten, gute Straße, wenig Verkehr. Ich meine, südwärts, wo ich fahre, ist kein Verkehr, während mir die Wochenendausflügler aus Athen zuhauf entgegen kommen.
Bei Chalkida führt eine Brücke von Euböa nach westen aufs Festland. Mein nächstes Ziel ist Delphi, und danach nach Süden ans Meer.
Ich komme zuerst nach Itea, und das ist fürwahr eine grausige Stadt. Sie besteht zu gefühlten 80% aus Appartmentblocks für die Feriengäste, quadratisch, praktisch. Es ist heiß und staubig, und der einzig akpzeptable Aufenthaltsort scheint das flache Strandwasser zu sein, schon jetzt in der Vorsaison.
Das nächste Städtchen ist Galaxidi, und das ist ein Ort nach meinem Geschmack. Das Erscheinungsbild dieses traditionellen Hafen- und Fischerstädtchens ist unverdorben, obwohl es auch hier kaum mehr Fischer gibt. Der Grund liegt wohl darin, dass es hier keinen Strand gibt. Kein Strand, kein Massentourismus.
Hier quartiere ich mich ein, nehme ein Bad im (unerwartet kalten) Wasser am Hafen und schlendere durch die Stadt.
Ich überquere bei Patras den Golf von Korinth und wende mich nach Süden. Von Killini geht die Fähre zur grünen Insel Kefalonia. Ich war vor 11 Jahren schon mal hier und mein Eindruck hat sich kaum verändert. Die Hauptstadt Argostili ist immer noch so heiß und staubig wie damals. Und gegenüber, an der Ostküste der Insel, ist das Hafendorf Sami immer noch unverändert idyllisch ruhig. Nun gut, die Anzahl Sitzplätze in den Promenadencafes hat sich sicher verdoppelt, aber da sitzt kaum jemand. Vorsaison halt.
Ich werde hier zwei Nächte verbringen und dann sehen wir weiter.
Statt der hässlichen Küstenstraße von Killini nach Norden fahre ich ins Landesinnere und nehme die Route über Berg und Tal nach Patras. Dort wartet die Fähre nach Ancona.
Obwohl ich zwei Stunden vor Abfahrt einchecke, kommt mir der Kahn arg voll vor. Der Eindruck täuscht nicht, der Fahrplan der Fähren nach Griechenland ist wohl um einiges ausgedünnt worden, mit dem Ziel, die verbliebenen Verbindungen profitabler zu betreiben.
Früher war alles besser. Auf der Fähre ging es geruhsam zu, man sonnte sich, las ein Buch, trank einen Kaffee, während im Hintergrund stilecht leise die Buzukis aus dem Lautsprecher klimperten.
Heute ist auf dem Sonnendeck ein ohrenbetäubender Disco-Lärm. Sicher das falsche Unterhaltungsprogramm, wo doch die Hälfte der Passagiere im Rentenalter ist. Dafür sind die Barkeeper eine oder zwei Generationen jünger, und die steuern die Musik.
"Hey Brother! There's an endless road to rediscover..."
Zwei bis drei Stunden nach der Ankunft in Ancona kann ich noch auf der Autostrada absitzen, denke ich mir und schwinge mich in den Sattel.
Was ich nicht bedacht habe, die Fahrt geht nach Westen in die untergehende Sonne. Ich bin geblendet und kann deshalb kein einziges Wegweiserschild an der Autostrada lesen. Die Reise wird zum Blindflug. Kurz vor Sonnenuntergang nehme ich halt irgend eine Ausfahrt.
Bis ich eine Albergo gefunden habe, ist es fast Nacht. Wo bin ich hier? In der Altstadt von Bologna, da wollt ich eigentlich gar nicht hin. Egal, Bologna ist eine Stadt die man nie und nimmer mit dem Auto besuchen kann, denn es gibt kaum Parkplätze. Was es gibt, sind extrem saftige Tickets fürs Falschparken. Mit dem Motorrad ist man allerdings richtig hier, es gibt abertausende von kostenlosen Rollerparkplätzen.
Selbst wenn es mir keiner gesagt hätte, hätt ichs wissen müssen - das historische Zentrum von Bologna erkennt man daran, dass die Bürgersteige überwiegend unter schattenspendenden Arkaden verlaufen. Das Foto hier stammt allerdings nicht vom Abend, sondern vom Morgen danach.
Jedenfalls werde ich morgen zeitig aufstehen müssen, um noch ein bisschen Sightseeing zu machen - das nicht ganz billige Zimmer in der Albergo muss sich ja irgendwie rentieren.
Wo steht der schiefste Turm von Italien? Nicht in Pisa, sondern in Bologna. Die zwei schiefen Türme Asinelli und Garisenda, anfang des 12. Jahrhunderts erbaut, sind eines der Wahrzeichen der Stadt.
So, damit hab ich mein Sightseeing erledigt. Noch ein Panini und zwei Cappuccino auf der Piazza Maggiore, und dann brech ich auf zu einem Gewaltritt von über 800 km.
11 Stunden später, kurz bevor es dunkel wird, erreiche ich ziemlich durchnässt aber mit heiler Haut den Heimathafen bei Stuttgart.
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